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Die Risiken der Krippenbetreuung
„Kinder brauchen Mütter“ – Lesung und Vortrag von Buchautorin Kerstin Götze in Potsdam von Katrin Krips-Schmidt
Eigentlich wollen Mütter nur das Beste für ihr Kind. Sie wollen, dass es sich zu einem starken und selbstsicheren Menschen entwickelt und dass sie selbst wenig Sorgen mit ihm haben. Kerstin Götze, selbst Mutter von vier Kindern – zwei davon studieren bereits – hat ein Buch über die Risiken der Krippenbetreuung geschrieben. Es heißt „Kinder brauchen Mütter“ und sie stellte es in diesen Tagen in der katholischen Potsdamer Bildungsinitiative „Die Arche“ vor. Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Die Zahlung eines Betreuungsgeldes an Mütter oder Väter, die ihre Kleinstkinder in eigener Verantwortung erziehen, die höchstwahrscheinliche Nicht-Umsetzbarkeit des im Jahre 2008 von der Großen Koalition beschlossenen Gesetzes „zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen“, das den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem 1. Januar 2013 gewährt und schließlich die grundsätzliche In-Frage-Stellung traditioneller familiärer „Rollenvorstellungen“ – all das beschäftigt momentan die Republik in privaten Diskussionsrunden und in öffentlichen Talkshows. Ein Schlagabtausch von Argumenten findet statt, ohne dass sich die eine Seite von den Argumenten des Gegners überzeugen ließe. Die in der DDR geborene und dort aufgewachsene Diplom-Bibliothekarin spricht in ihrer Lesung und in ihrem Vortrag von der Bedeutung der „Mütterlichkeit“, davon, die „elementaren Grundbedürfnisse der Kinder zu erfüllen, ihnen Urvertrauen zu schenken“. Sie spricht von den Resultaten der Bindungsforschung, nach denen ein Kind umso selbstständiger und selbstsicherer wird, je besser und sicherer es sich im frühen Alter an eine Bezugsperson, im Normalfall an die Mutter, gebunden hat. Und sie spricht als Stillberaterin von den überaus positiven Wirkungen, die das Stillen auf Mutter und Säugling ausübt. Das sind Gewissheiten, die in letzter Zeit immer mehr aus dem Blickwinkel zu geraten scheinen. Man redet nur noch vom Recht der Eltern auf die Inanspruchnahme eines Krippenplatzes – man redet nicht mehr davon, was ein Kind nötig hat. Betroffen muss die Schilderung von Götzes eigener leidvoll erfahrener Krippenzeit machen. Etwas über zwei Jahre alt war sie, und sie konnte nicht begreifen, dass sie plötzlich Morgen für Morgen bei einer fremden Frau in einem anderen Haus „abgegeben“ wurde. Natürlich nicht, sie war ja noch zu klein, um das zu verstehen. In der DDR fiel der aus dem Rahmen, der sich nicht dem staatlichen Diktat der Krippenerziehung unterwarf. Auch ihre Eltern wollten da keine Ausnahme machen, schließlich war der Vater Lehrer an einer Oberschule. Die kleine Kerstin hatte existenzielle Verlassungsängste, so beschreibt sie das aus heutiger Sicht. Als „Vertreibung aus dem Paradies“ kam ihr das morgendliche Bring- und Abgabe-Ritual vor. Immer häufiger wurde sie krank. Endlich durfte sie nach vier Monaten die Krippe verlassen und zuhause bei ihrer Mutter bleiben. Als Erwachsene hoffte sie jahrelang, dass andere Kinder ihren Krippenaufenthalt weniger bedrohlich erlebt hätten. Was sich jedoch als Irrtum herausstellt. Auch ehemalige Krippenerzieherinnen bestätigen ihr, wie kleine Kinder in ihrer Separationsangst bei der morgendlichen Trennung von der Mutter ergreifend weinen und schreien. Eine hält das sogar nicht mehr aus und gibt ihren Beruf deswegen auf. Weiter berichtet Götze von einem interessanten „Experiment“ in der damaligen DDR. In der ersten Klasse war sie Schülerin der sogenannten „Hausklasse“. Darin unterrichtete man die Kinder, die zuvor nicht in eine „Einrichtung“ gegangen waren, wie es im Sozialismus hieß. Durch diese Separation wollte man die Unterlegenheit der „Hauskinder“ gegenüber den in Krippen aufgewachsenen aus den vier anderen Klassen beweisen. Das Experiment ging gründlich schief. Die Schüler der Hausklasse waren auffallend diszipliniert, hatten am Ende des ersten Schuljahres einen hervorragenden Notendurchschnitt von 1,7; die Klasse wurde stillschweigend aufgelöst und die Jungen und Mädchen auf die übrigen Klassen aufgeteilt. Für die Autorin ist klar, dass die Lösung des Problems nicht im Ausbau von Krippenplätzen liegen kann, sondern in einer Förderung und Stärkung häuslicher Familienmodelle. Als Zukunftsperspektive stellt sie ein Paket von Rahmenbedingungen vor, durch die Mütter nicht nur finanziell unterstützt werden sollen. Denn zunächst fehlt es ja oft auch an ideeller Beratung und an praktischem Beistand, häufig wissen junge Eltern gar nicht mehr, wie sie schon mit ihren Babys umgehen sollen. Damit Mütter sich frei für die Erziehung ihres Nachwuchses entscheiden und auf eine Erwerbstätigkeit zumindest in den ersten Lebensjahren ihres Kindes verzichten können, favorisiert sie ein Erziehungsgehalt, etwa in Höhe der Kosten, mit denen der Staat einen öffentlichen Krippenplatz finanziert und damit diejenigen Eltern subventioniert, die einen solchen Platz in Anspruch nehmen und die damit „frei“ sind, durch eine berufliche Tätigkeit, Geld zu verdienen. Mindestens 1000 bis 1500 Euro sind das monatlich. Weitere Maßnahmen wären die Förderung von Teilzeitarbeit sowie die Erleichterung des beruflichen Wiedereinstiegs für Mütter, gerade auch für diejenigen, die nach einer langen Familienphase im Berufsleben erst wieder neu Fuß fassen müssen – ähnlich den Programmen für Langzeitarbeitslose. Einiges schon wäre gewonnen – und das wurde in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum deutlich – wenn die Familie etwa in den Medien nicht mehr nur als „Problemfeld“ dargestellt, sondern ein positives Bild von ihr vermittelt würde. Diffamierungen fangen bekanntlich mit der Sprache an. Mit bösartigen Unterstellungen zum Beispiel. So macht das Wort von der „Herdprämie“ als abfällig gemeintes Synonym für das „Betreuungsgeld“ schon lange die Runde, bereits 2007 war es zum „Unwort des Jahres“ gekürt worden. Es unterstellt Personen, die Erziehungsarbeit leisten, dass sie nur kochen. Sprachliche Präzision ist aber auch bei der Verwendung des Begriffs „Krippe“ angebracht. Damit werden die außerfamiliären Unterbringungsmöglichkeiten bezeichnet für Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr. Die in den Medien beobachtbare Vermeidung dieses Terminus zu Gunsten eines wenig aussagekräftigen Überbegriffes wie Kindertagesstätte oder gar „Einrichtung“ soll darüber hinwegtäuschen, dass es hier eben nicht um die Betreuung von drei- bis fünfjährigen Kindergartenkindern geht, sondern um Säuglinge und Kleinstkinder, die sich in einer noch sehr sensiblen Phase ihrer Entwicklung befinden.
Das Buch von Kerstin Götze „Kinder brauchen Mütter: Die Risiken der Krippenbetreuung – was Kinder wirklich stark macht“ ist im Stocker Verlag für 19.90 Euro erschienen.
Aus Die Tagespost, 70/2012, Dienstag, 12. Juni 2012